Kurhaus Weissenstein - ein Drama in zwei Akten

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Zum Buch: Recherchiert und verfasst im Auftrag der Regiobank Solothurn, die den Beitrag als Kapitel in ihrem Jubiläumsbuch "200 Jahre Regiobank" 2019 veröffentlichte.

 

Fünf Jahre nach der Seilbahn eröffnet im Sommer 2019 das Hotel Weissenstein. Damit beginnt auf dem Solothurner Hausberg eine neue Ära. Über 20 Millionen Franken haben die Besitzer des ehemaligen Kurhauses investiert. Im Osten des Gebäudes ist ein neuer Glaskubus hochgezogen worden. Die historischen Gemäuer wurden vollständig ausgehöhlt. Das Hotel verfügt über 54 Hotelzimmer, ein Selbstbedienungsrestaurant und eine gehobene, gut bürgerliche Gastronomie. Auf dem Göiferlätsch ist für 1,5 Millionen Franken und in Partnerschaft mit dem Migros-Kulturprozent ein spektakulärer Naturspielplatz entstanden, an dessen Finanzierung sich auch die Regiobank und die Seilbahn Weissenstein AG beteiligten. Durchgeführt wurde der Umbau von der Firma Baulink AG des Unternehmers Urs Hoffmann, die auch das Intercontinental in Davos, das „goldene Ei“, aufgestellt hat. Geführt wird das Hotel Weissenstein von Tom und Arabelle Umiker, die in Davos-Klosters drei weitere Hotels besitzen, zwei Betriebe managen und die Gruppe mit rund 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zentral über eine Holding mit Sitz in Zug steuern. Die neuen Eigentümer Hoffmann und Umiker sind Unternehmer: „Ich kenne den Weissenstein aus meiner Jugend, aber sentimentale Gründe waren für den Kauf nicht ausschlaggebend. Wir wollen wirtschaftlichen Erfolg haben“, sagt der erst 37-jährige Tom Umiker, der im aargauischen Scherz aufgewachsen ist. Umiker hat im Restaurant Schloss Falkenstein eine Kochlehre gemacht, absolvierte dann die Hotelfachschule Luzern und sammelte Berufserfahrung in Fünfsterne-Häusern in Thailand und Abu Dhabi.

Arabelle Umiker, ebenfalls Absolventin der Hotelfachschule, stammt aus der alteingesessenen Davoser Familie Sutter, deren Hotel Edelweiss sie übernommen hat und das die Keimzelle des gemeinsamen Unternehmens bildet. Das finanzielle Fundament der Holding ist ein stattlicher Immobilienbesitz, der die finanzielle Unabhängigkeit garantiert. Damit führen erstmals eigenverantwortliche Unternehmer den Flaggschiff-Betrieb der Region, von dessen Dach drei Scheinwerfer bis weit ins Mittelland leuchten. Die Eröffnung des Hotels Weissenstein ist der vielversprechende Neubeginn nach einem quälend langen Drama in zwei Akten. Der erste Akt beginnt in der Mitte der Achtzigerjahre. Der bauliche Zustand des 1827 erbauten Kurhauses ist inzwischen so desolat, dass der damalige Solothurner Stadtammann Urs Scheidegger 1985 ein Initiativkomitee für dessen Rettung gründet. Die Solidarität ist gross. Gemeinden, Firmen und private Aktionäre steuern insgesamt 3,3 Millionen Franken bei. Die Bürgergemeinde Solothurn tritt das Gebäude für 50 Jahre im Baurecht an eine neu gegründete Kurhaus Weissenstein AG ab. An dieser AG sind auch die Bergbahn Oberdorf-Weissenstein AG (BOW) und die Bürgergemeinde beteiligt. Boden und Osttrakt des Kurhauses gehören weiterhin der Bürgergemeinde. Pächterin des Kurhauses bleibt die BOW. Das ist so kompliziert, wie es tönt. Die damaligen Besitzverhältnisse sind ein eigentlicher gordischer Knoten, der die Akteure auf dem Berg in den folgenden Jahren gegenseitig lähmen wird. Aber zu diesem Zeitpunkt ist der Enthusiasmus für den gemeinsamen Rettungsakt gross. Die Aktien der neuen AG werden von regionalen Künstlern gestaltet. Während zuerst von einer Sanierung für vier bis fünf Millionen Franken die Rede ist, wird schliesslich ein Umbau für 8,8 Millionen Franken geplant. Am Ende weist die Abrechnung Kosten von 9,8 Millionen Franken aus. Ende April 1990 wird das neue Kurhaus eingeweiht. Die Leute strömen in Massen auf den Berg. Das Radio berichtet während zweieinhalb Stunden in einer landesweiten Sondersendung. Aber hinter den Kulissen brodelt es gewaltig. Werner Käser, Kurhaus-Geschäftsführer seit 1977, ist mit dem Umbau nicht zufrieden. Nervlich steht er am Abgrund. Er ist nicht bereit, den neuen Vertrag der BOW als Geschäftsführer zu unterschreiben.

Um den totalen Eklat zu vermeiden, bewirtet er die Gäste an der Eröffnung. Aber schon am Folgetag verlässt er den Berg. Der Fehlstart schlägt hohe Wellen. Immerhin kann das Kurhaus bereits nach wenigen Tagen wieder eröffnen, weil der Kursaal Interlaken interimistisch übernimmt. Im Juni präsentiert die BOW einen neuen Geschäftsführer, von dem sie sich aber bereits nach einem Jahr wieder trennt. In den ersten 18 Monaten schreibt das gerettete Kurhaus Verluste von einer halben Million Franken, die ein tiefes Loch in die Kasse der BOW reissen. Trotzdem wird am Dogma der „siamesischen Zwillinge“ nicht gerüttelt. Das Schicksal von Bergbahn und Kurhaus, so die mehrheitliche Überzeugung, ist untrennbar verbunden. Per sofort verpflichtet die Bahn den jungen Hotelfachmann Thomas Poschung, der den Kurhaus-Umsatz innert dreier Jahre von drei auf vier Millionen Franken erhöht und ab dem zweiten Jahr schwarze Zahlen schreibt. Angesichts der erfreulichen Ergebnisse erhöht jetzt die Kurhaus AG den Pachtzins von 200'000 auf 280'000 Franken. Gutachten der Gesellschaft für Hotelkredit sind zum Schluss gekommen, dass sogar ein Pachtzins von 350'000 Franken verkraftbar wäre. Die Kurhaus AG muss ihrerseits nicht nur die über drei Millionen Franken Fremdkapital verzinsen, sondern auch den Gebäudeunterhalt finanzieren und das Inventar amortisieren. Dazu kommt ein weiterer Konstruktionsfehler der Rettung: Weil die Heimfallentschädigung nicht klar vereinbart worden ist, würde das Kurhaus 2038 ohne Gegenleistung an die Bürgergemeinde zurückfallen. Aus diesem Grund müsste die AG zusätzliche Abschreibungen von 120'000 Franken jährlich vornehmen.

Schon zu Beginn der Neunzigerjahre ist die Not auf dem Berg der leeren Kassen gross. Die Rettungsaktion war gut gemeint, aber nicht zu Ende gedacht. „Wir alle haben dem betriebswirtschaftlichen Aspekt, dem Konstrukt „siamesische Zwillinge“ und dem Heimfall zu wenig Beachtung geschenkt“, sagt Josef Zimmermann rückblickend. Zimmermann, damals Direktor der Regiobank, war von der Gründung der neuen Kurhaus Weissenstein AG 1987 bis 1999 Mitglied des Verwaltungsrates, Sekretär und Kassier. Die Verschnaufpause ist vorbei, als Thomas Poschung den Weissenstein 1995 wieder verlässt. Die Nachfolger können nicht an seinen Erfolg anknüpfen. Es resultieren wieder Defizite von mehreren Hunderttausend Franken, die die Bergbahn mit ihren bescheidenen Jahresgewinnen zunehmend in Bedrängnis bringen. Auch die Kurhaus AG schliesst ihre Jahresrechnungen, abgesehen von den Jahren 1993 und 1994, mit Verlust ab. Überdies senkt sie den Pachtzins wieder schrittweise, um zu verhindern, dass die BOW den Pachtvertrag kündigt. Ende 1999 weist der im Vorjahr eingesetzte Kurhaus-Geschäftsführer Rolf Frölicher bei einem Umsatz von 2,4 Millionen Franken ein Defizit von 273'000 Franken aus. Im Januar 2000 stellt die BOW die Zahlungen ein, weil sie sonst ihre Löhne nicht mehr bezahlen könnte. Im April zieht sie die Notbremse und kündigt den Pachtvertrag. Aber es ist bereits zu spät. Die Kurhaus Weissenstein AG handelt mit den Banken ein Stillhalteabkommen aus. Sie entscheiden, das Kurhaus zu sanieren und die Bergbahn fallen zu lassen. Im April 2001 wird über die BOW der Konkurs eröffnet. „Wir sind am Kurhaus verblutet“, sagte der damalige BOW-Präsident Heinz Frey. Der Zusammenbruch der Bahn besiegelt das Ende des ersten Aktes.

Nach aussen ist von den Umwälzungen wenig zu spüren. Bahn und Kurhaus laufen mehr oder weniger wie gewohnt. Aber in seinem Inneren ist das Konstrukt zwischen Bahn und Kurhaus mit einem Knall geborsten. Die siamesischen Zwillinge sind getrennt. Zahlreiche Rechnungen sind offen – sowohl finanzielle wie persönliche. Bei der Kurhaus AG wird das Aktienkapital von 3,3 Millionen Franken auf 330'000 Franken heruntergesetzt, damit den Aktionären wenigstens noch ein Zehntel des investierten Geldes bleibt. Geschäftsführer Rolf Frölicher wird nun direkt für fünf weitere Jahre angestellt. Bei der konkursiten BOW ruft der damalige Solothurner Tourismusdirektor Erich Egli den unabhängigen Vermögensverwalter Rolf Studer zu Hilfe, um das drohende Grounding der Sesselbahn abzuwenden. Studer, auch bekannt als städtischer Finanzpolitiker, treibt innert kürzester Zeit das nötige Kapital für eine Auffanggesellschaft auf, die den Betrieb fliegend übernimmt. Aber die Zeitbomben ticken weiter: Bei der Kurhaus AG ist ausser Zeit nicht viel gewonnen. Für Abschreibungen oder Sanierungen fehlen weiterhin die Mittel. Bei der Bahn wird das Konzessionsgesuch 2009 auslaufen. In der Nachfolgegesellschaft Seilbahn Weissenstein AG (SWAG) gibt Rolf Studer den Kurs vor. Er treibt das Projekt für eine neue Gondelbahn voran. Seine forschen Pläne stossen auf Widerstand. Eine zähe Opposition steht modernen Gondeln ablehnend gegenüber. Das nächste Gewitter zieht auf. Während der Heimatschutz die Erneuerung der Bahn auf juristischem Weg blockiert, legt die SWAG den Betrieb der „Sässelibahn“ am 1. November 2009 still und kappt die Seile. Rolf Studer hält fest, dass die bereits verlängerte Bewilligung vom Bundesamt für Verkehr entzogen worden sei.

Die Gegenseite ist empört. Die Befürworter der alten Bahn sind der Meinung, die Sessel hätten mit gutem Willen länger fahren können. Der Handstreich hat Folgen. Im Sennhaus und auf dem Hinter-Weissenstein brechen die Umsätze völlig ein. Ebenso im Kurhaus, bei dem die Regiobank seit der Sanierung alleinige Hausbank ist. Brigit Leicht und Heinz Blattmann, Pächter seit 2007, reagieren zunächst mit einer Schliessung über den Winter auf den Stillstand der Bahn. Für die Sommersaison 2010 öffnen sie die Türen noch einmal, aber im Herbst 2010 werfen sie endgültig das Handtuch und verlangen unter Getöse eine vorzeitige Entlassung aus dem Pachtvertrag. Der Verwaltungsrat der Regiobank wirft der Seilbahn vor, das Kurhaus in den Konkurs zu treiben. Das ist insofern pikant, als Rolf Studer Mitglied dieses Verwaltungsrates ist und die Regiobank sich auch mit 14 Prozent der Aktien an der neuen Gondelbahn beteiligt hat. Es kommt zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Präsident Felix Leuenberger. Studer tritt Ende 2010 aus dem Verwaltungsrat aus. So wie der Zusammenbruch der alten Sesselbahn zugleich die Geburtstunde der neuen Gondelbahn war, folgt auf den Zusammenbruch des Kurhauses das zweite entscheidende Ereignis für die Bereinigung auf dem Berg. Die Regiobank erklärt sich bereit, das Kurhaus zu kaufen. Eingefädelt haben den Plan Verwaltungsratspräsident Felix Leuenberger und Stadtpräsident Kurt Fluri, der zugleich Vizepräsident der Bank ist. Der Verwaltungsrat folgt ihnen und beauftragt Direktor Markus Boss, das Kurhaus über ihre Tochtergesellschaft Soleika AG zu erwerben. Die Bank will den Betrieb über die Runden bringen, bis das Drama um die stillgelegte Bergbahn beendet ist. Um Baurecht und Grundstück zu einer Einheit zusammenzuführen stellt sie die entscheidende Bedingung: Die Bürgergemeinde muss den Ostflügel und das gesamte Grundstück einschliesslich des Parkplatzes verkaufen. Sie hat kaum eine andere Wahl. Der Heimfall ist zur akuten Bedrohung geworden. Würde sie das Angebot der Regiobank ablehnen, fiele das Kurhaus an sie zurück.

Mit dem Verkauf wird der gordische Knoten endlich ganz durchschlagen. Am 28. April 2011 wird er besiegelt. Die Bank nimmt die dringendsten Sanierungsarbeiten am Gebäude vor. Die beträchtlichen Investitionen in die Überbrückungsphase betrachtet sie als Marketing-Aufwand. Sie dokumentiert damit einmal mehr ihre Verbundenheit zur Region. Ab 2011 verpflichtet sie für drei Sommersaisons die Wirtsleute Werner und Elisabeth Käser als angestellte Geschäftsführer, um im Kurhaus einen Tagesbetrieb aufrecht zu erhalten. So kommen die beiden populären Wirtsleute, die nach dem abrupten Abgang von 1990 in der Stadt Solothurn das Restaurant Jägerstübli geführt hatten, noch einmal zurück auf den Weissenstein. „Der Berg verfolgt uns bis ins Grab“, sagt Bethli Käser. Am 26. Januar 2015, nur einen Monat nach Eröffnung der neuen Seilbahn, verkauft die Regiobank das Kurhaus wie angekündigt an die privaten Investoren Urs Hoffmann sowie Tom und Arabelle Umiker. Anfänglich gehört auch der Berner Oberländer Touristiker Hans-Ulrich Schläppi, der den Verkauf vermittelt hatte, zu den Investoren. Er hat sich aber mittlerweile zurückgezogen. „Niemals“, sagt Käufer Urs Hoffmann dezidiert, „hätten wir das Kurhaus mit einem Baurecht gekauft“. Sein Geschäftspartner Tom Umiker findet, das Engagement der Regiobank werde in der Region zu wenig gewürdigt. Er weist darauf hin, dass es auch höhere Angebote gegeben hatte: „Die Regiobank hat nicht an den Meistbietenden verkauft, sondern an die Interessenten, von denen sie sich die beste Lösung für den Berg versprach“. Tatsächlich hätten chinesische und arabische Investoren einen höheren Preis bezahlt. Interesse hatte ursprünglich auch die neue Seilbahnbetreiberin SWAG, die allerdings eine deutlich tiefere Offerte unterbreitete. Mit dem Verkauf endet der zweite Akt des Dramas, das in den totalen Zusammenbruch münden musste, bevor ein Neubeginn möglich war. Den Betrieb im Kurhaus führt ab 2014 als letzte Zwischenlösung die Restaurantkette „Hüttenzauber“. Sie endet im Frühling 2018 eine Sommersaison früher als vorgesehen, weil die auf Bergrestaurants spezialisierte Firma wegen ihres Umgangs mit dem Personal in die Schlagzeilen gekommen ist. Statt etappenweise bei laufendem Betrieb wird das Kurhaus nun in einem Schritt komplett umgebaut, während die Seilbahn kurzfristig einen provisorischen Restaurantbetrieb organisiert. „Alles was mit dem Berg zu tun hat, wird in Solothurn mit grossem emotionalem Engagement debattiert“, sagt der heutige Tourismusdirektor Jürgen Hofer. Die Qualität von Speisen und Service im Kurhaus wird in den Leserbriefspalten seit eh und je hitzig diskutiert. Es gibt kaum Einheimische, die nicht eine abenteuerliche Geschichte von der Schlittelbahn im Repertoire haben. Im Volksmund werden die drei Scheinwerfer auf dem Kurhaus „die drei hellsten Solothurner“ genannt. Sie wurden 1909 installiert, als das Kurhaus an den elektrischen Strom angeschlossen wurde und bis weit ins Mittelland Werbung für den neuen Energieträger machen sollte. Seither werden sie von einer separaten Leitung der AEK gespiesen. Gibt einer der Scheinwerfer den Geist auf, hagelt es Reklamationen. Die drei Lichter auf dem Berg gehören längst zur identitätsstiftenden Grundausstattung der Region. Hätten sich die Vogelschützer beim jüngsten Hotelumbau durchgesetzt, würden sie heute nicht mehr leuchten, weil sie angeblich die Zugvögel stören. Erst im Verlauf der Verhandlungen realisierten die Tierfreunde, dass diese Forderung ein Schuss ins eigene Knie gewesen war. Lichterlöschen auf dem Berg hätte in Solothurn die Volksseele zum Kochen gebracht. Wenn es um den Berg geht, ist fertig lustig. In den Hinterköpfen ist der Weissenstein immer noch, als was er vor 200 Jahren europäische Bekanntheit erlangte: Zufluchtsort und Idyll über den nebligen Niederungen des Alltags.

Die Beziehung von Solothurn zum Weissenstein hat Wurzeln bis ins 15. Jahrhundert, als der Berg eine städtische Allmend war. Anfangs des 19. Jahrhunderts kamen Molkenkuren in Mode. Auf dem Weissenstein gab es erste Patienten, die sich im alten Sennhaus, das früher an Stelle des Kurhauses stand, behandeln liessen. Dem Abfallprodukt aus der Käseherstellung wurden heilende Kräfte gegen Atemwegskrankheiten und Hautausschläge, ja selbst gegen Alkoholismus zugeschrieben. Der Arzt und „Kantonsphysikus“ Johann Carl Kottmann, der von seiner früheren Tätigkeit in Baden um die Popularität der Molkenkuren wusste, initierte 1827 den Bau des Kurhauses, das zunächst nur aus dem mittleren Gebäudeteil bestand. Das medizinische Angebot wurde rasch diversifiziert. So gab es über dem Kuhstall teurere Zimmer, in welche gezielt mit Dampf vermischte, angeblich heilsame Stallluft geleitet wurde. Um 1862 und 1866 kamen West- und Ostflügel hinzu und 1876 wurde am Standort des heutigen Pavillons eine Trinkhalle im Stil einer Bahnhofhalle errichtet. Durch sie erreichte das Kurhaus mit 105 Metern seine längste Ausdehnung. Vor dem Haus luden Aussichtsterrassen zum Lustwandeln und etwas weiter unten auf dem Göiferlätsch gab es sogar einen Tennisplatz. Mitten in dieser Blütezeit berührten sich die Schicksale von Regiobank und Kurhaus ein erstes Mal. Als es 1877 bei der Trennung von Einwohner – und Bürgergemeinde darum ging, die Besitzungen aufzuteilen, ging die damalige Ersparniskasse an die Stadt und der Weissenstein mit Weiden und Wald sowie Kurhaus, Sennhaus und Hinter-Weissenstein an die Bürgergemeinde. Gutbetuchte internationale Kundschaft erholte sich zu dieser Zeit auf dem Weissenstein und genoss das Hirten- und Sennenidyll vor traumhaftem Alpenpanorama. Der Weissenstein war ein touristischer Trendsetter mit adligen und gelehrten Gästen. Normalverdiener konnten sich diesen Luxus nicht leisten. Der französische Schriftsteller Alexandre Dumas, Schöpfer der drei Musketiere, bezahlte 1832 neun Franken für die Kutschenfahrt und eine Übernachtung mit Verpflegung – das entsprach dem halben Monatslohn eines Fabrikarbeiters. In seinen Aufzeichnungen beschreibt er, wie er das eindrückliche Panorama genossen hat: „All das im Lichterspiel eines Sonnenuntergangs im Herbst und aus einer Badewanne betrachtet, an die unmittelbar ein mit einem vorzüglichen Essen gedeckter Tisch geschoben war. (..) Was mich betrifft: ich fand es prächtig“. Als gegen 1900 im Alpengebiet zunehmend neue Touristenorte erschlossen wurden, zog die Karawane der Jetsetter weiter und auf dem Weissenstein wurde es wieder ruhig. Aber er lebte noch lange vom Glanz vergangener Zeiten. Dank der rasanten Entwicklung von Strasse und Schiene gab es immer wieder kleine Aufschwünge. Noch vor den Weltkriegen kam der Wintersport auf. Zeitweise wurden Skirennen nach Gänsbrunnen veranstaltet, es gab eine Sprungschanze, drei Skilifte, eine Piste auf den Nesselboden und eine Langlaufloipe. Pläne für eine Bergbahn wurden schon früh gewälzt, aber konkret wurden sie erst 1951 mit der Eröffnung der damals modernen Sesselbahn. Sie erzielte mit 130'000 Bergfahrten gleich im ersten Jahr einen Publikumsrekord, der noch lange Bestand haben sollte. Im Initiativkomitee für die Bergbahn hatte sich auch der damalige Kurhaus-Wirt Theo Klein engagiert. Er war den Solothurnerinnen und Solothurnern ein Begriff – wegen seiner Aushänge in den Schaufenstern der Stadt: „Weissenstein Sonnenschein, Theo Klein“. „Weissenstein Nebelmeer“. Nicht nur Klein erhoffte sich von der Sesselbahn eine Renaissance für das Kurhaus. Aber weder Bahn noch Gastronomie kamen richtig in Fahrt. Das hatte seine tiefere Ursache darin, dass sich die Tourismusdestinationen in den Alpen dynamisch entwickelten und der Weissenstein abgehängt war. Die Bergbahn vermutete einen Grund aber auch in mangelndem Engagement des Kurhauses.

Als die Bahn 1960 mit nur 65'000 Bergfahrten einen Minusrekord einfuhr, übernahm sie ein erstes Mal selbst die Pacht des Kurhauses. Aber schon 1972 kündete sie den Vertrag wieder, weil der Erfolg ausgeblieben war. Fünf Jahre später nahm die Bergbahn Oberdorf-Weissenstein (BOW) einen neuen Anlauf. Der damals erst 27-jährige Gastronom Werner Käser sollte das angeschlagene Flaggschiff auf Kurs bringen. Die BOW übernahm den Kauf des Inventars. Käser bekam einen Geschäftsführervertrag und wohnte ab November 1977 im Obergeschoss des Kurhauses. In seiner Wohnung gab es ein Cheminée, das wegen Brandgefahr nicht mehr benutzt werden durfte. Das Kurhaus hatte zu diesem Zeitpunkt 108 Räume, davon 15 Personalzimmer und 12 einfache Berghotelzimmer mit Etagenbädern im ersten Stock des Ostflügels. Im zweiten Stock standen 60 einfache Touristenlager bereit, während das Parterre bereits nur noch als Abstellkammer benützt wurde. Im Restaurant gab es 600 Aussenplätze und 450 Innenplätze „Es war alles schon marod“, erinnert sich Käser. Den Gastwirtschaftsbetrieb hatte er im Griff. Er schrieb schwarze Zahlen, auch die Bergbahn verzeichnete stabile Frequenzen. In dieser Zeit war das Kurhaus so etwas wie eine öffentliche Institution. An nebligen Tagen riefen bis zu 150 Leute an, um sich nach dem Wetter auf dem Berg zu erkundigen. Am Sonntag Morgen doppelten die ersten Gäste um 5.40 Uhr an die Scheiben, um den Anschnitt der Züpfe zu ergattern oder nach dem schweisstreibenden Aufstieg ein Frotteetuch für 50 Rappen zu mieten.

Aber der Betrieb lebte von der Substanz. Die Bürgergemeinde hielt zwar an ihren Besitzungen fest, aber ihr fehlte das Geld an allen Ecken und Enden. 1976 wollte sie den Landwirtschafts- und Restaurantbetrieb Hinter Weissenstein eingehen lassen, weil sie den Gebäudeunterhalt nicht mehr bezahlen konnte. Die Pächterfamilie Stucki wehrte sich und konnte mit Hilfe des Bauernsekretariats einen sogenannten Erbpachtvertrag aushandeln. Er entspricht einer Art Baurecht und bedeutet, dass die Pächter selbst in das Gebäude investieren und dafür lange Vertragslaufzeiten bekommen. 1988 kam das selbe Modell bei der Familie Niederberger im Sennhaus zur Anwendung. Beide Familien haben viel Geld in ihre Betriebe gesteckt und den Fokus verstärkt auf die Gastronomie gelegt, als es mit der Landwirtschaft schwieriger wurde. Während das Kurhaus ein Dauerthema in den Medien war, sorgten die beiden Berghöfen für verlässliche Konstanz. Im Sennhaus ist es seit 1983 die Familie Niederberger, auf dem Hinter-Weissenstein seit 1957 die Familie Stucki. In den schwierigen Jahren war das Klima auf dem ganzen Berg angespannt. Konflikte entzündeten sich selbst an Nebensächlichkeiten. „Statt am selben Strick zu ziehen, hat man sich gegenseitig das Leben schwer gemacht“, erinnert sich Tourismusdirektor Jürgen Hofer. Als die Bergbahn 2009 stillgelegt war, rief Annegret Stucki Hofer zu Hilfe. Der von ihm einberufene runde Tisch organisierte als erste Massnahme einen Postauto-Ersatz, mit  finanzieller Beteiligung der Regiobank. Später wurde daraus der Verein Tourismus Solothurner Jura, dank dem die Kooperation zwischen den Akteuren auf dem Berg heute wieder funktioniert. Darüber hinaus gibt es den breit abgestützten Verein Pro Weissenstein, der sich ehrenamtlich um die Infrastruktur auf dem Berg kümmert.

Die Ereignisse um Bahn und Kurhaus haben Freundschaften zerstört und Geschädigte zurückgelassen. Aber die alten Wunden verheilen und auf dem Berg macht sich eine versöhnliche und zuversichtliche Grundstimmung breit. Die neue Bahn hat ihre Kritiker seit dem fulminanten Start 2014 verstummen lassen. Die modernen Gondeln und die architektonisch gelungenen Stationen haben einer ganzen Generation von älteren Menschen den Aussichtsberg wieder zugänglich gemacht. „Ohne die neue Bahn hätte das Kurhaus keinen Investor gefunden“ sagt nicht nur Franz Niederberger vom Sennhaus. Andererseits wird die Bahn von einem attraktiven Kurhaus profitieren und nur  zusammen mit einem neuen, attraktiven Kurhausangebot  längerfristig profitabel betrieben werden können. Inzwischen hat die Seilbahn im Hinblick auf die Eröffnung des Hotels Weissenstein ihre Stundenkapazität von 700 auf 1000 erhöht und in die Sicherheit für Nacht- und Schlechtwetterfahrten investiert, damit künftig längere Betriebszeiten möglich sind. Die Bürgergemeinde ihrerseits hat hinter dem Sennhaus zwei leistungsfähige neue Holzschnitzelfeuerungen gebaut, mit denen sie über eine Fernleitung das Hotel mit Wärme aus ihren Wäldern versorgt. Niederberger ist zuversichtlich, dass auf dem Weissenstein mit der neuen und klaren Rollenverteilung dynamische Zeiten anbrechen: „Die Trennung hat ihr Gutes: Jetzt muss sich wieder jeder selbst anstrengen und kann nicht den andern die Schuld geben. Für den Berg und die Menschen der Region war es ein Segen, dass die Regiobank nicht einfach auf den kurzfristigen Profit schielte, sondern eine nachhaltige Lösung gesucht hat“.

 

 

 

Quellen:

„Die Sesselbahn am Weissenstein 1950-2009“; Christian Schneider, Benjamin Forter, Wolfgang Wagmann,

Katharina Arni-Howald, Toni Kaiser, Peter-Lukas Meier; 2014 Rothus Verlag, Solothurn; ISBN 978-3-906060-28-6

„Der Weissenstein und die Molkenkuren auf dem Jura“; J.C. Kottmann; 1829 Vogelsang, Solothurn

„Kurhaus Weissenstein. Ein baugeschichtliches Exposé und eine kulturgeschichtliche Rückblende“; Benno Schubiger; Separatdruck Zeitschrift Jurablätter; 1987 Habegger AG, Druck und Verlag, Derendingen

„Der Weissenstein und sein Kurhaus“; Peter Ritter; 1987 Vogt-Schild AG, Solothurn

„Der Weissenstein bei Solothurn. Natur und Geschichte unseres Juraberges“; A. Tatarinoff-Eggenschwiler

Hrsgb; 1952 Buchdruckerei Union AG, Solothurn

Aufzeichnungen von Josef Zimmermann, August 2018

Interviews im August 2018: Tom Umiker, Werner und Elisabeth Käser, Konrad Stuber, Rolf Studer, Josef

Zimmermann, Markus Boss, Felix Leuenberger, Jürgen Hofer, Annegret und Ueli Stucki, Franz Niederberger.

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