Im Kreis der Chrampfer

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Sie arbeiten als Chauffeure, Winzer, Mechaniker, Dachdecker, Käser. Steigen sie in die Zwilchhosen, lehren sie die Gegner das Fürchten. Fünf Wettkämpfer, die obenaus schwingen.

HARALD CROPT, 33 WINZER UND KELLERMEISTER AUS OLLON VD

Der Cropt Harald sieht nicht aus wie ein typischer Schwinger. Aber er ist einer. Schon sein Urgrossvater, dessen Bild in der Weinstube an der Wand hängt, trat 1900 an einer Schwingsport-Demonstration an der Pariser Weltausstellung auf. Urenkel Harald ist das Idol des Schwingernachwuchses von Aigle. Der Schwerarbeiter wird sich auch in Zukunft für die Talente aus dem Chablais einsetzen, während er selbst mit 33 langsam ans Aufhören denkt.

Schwingen war für den sanftmütigen Hünen aus Ollon nie mehr als ein Hobby. An oberster Stelle steht neben der Familie die Domaine de Trécord, zwei Hektaren Rebstöcke an sonniger Lage über dem Rhonetal. Cropt absolvierte eine Ausbildung als Winzer und Kellermeister und begann vor bald zehn Jahren, vorerst 1500 Liter eigenen Wein zu keltern. Inzwischen sind es 20 000 Liter pro Jahr. Cropt produziert einen Grand Cru aus Chasselas und Rotweine aus Gamayund Pinot-Trauben.

Wenn er ins Sägemehl steigt, ist es ihm wichtiger, unverletzt zu bleiben, als zu gewinnen. Fiele der Winzer aus, hätte seine Domaine ein Problem. Und dann sind da noch seine Frau und die beiden Töchter Louise und Lina, die am Wochenende auch gerne mal etwas anderes unternehmen würden. Deshalb nimmt Cropt heuer nur an wenigen Wettkämpfen teil. Ob es auch für das «Eidgenössische» reicht, war im Juli noch nicht sicher. Aber Harald Cropt hat von seiner haitianischen Mutter nicht nur die dunkle Hautfarbe mitbekommen, sondern auch die Gabe, die Dinge zu nehmen, wie sie sind.

STECKBRIEF

  • Gewicht 127 kg
  • Grösse 193 cm
  • Schuhnummer 46
  • Anzahl Kränze 19
  • Hobbys Töfffahren und Skitouren
  • Menü vor Wettkampf Teigwaren am Vorabend
  • Glücksbringer Nimmt immer alle Edelweisshemden mit
  • Angst vor Nichts
  • Ritual Vor jedem Gang zuerst den linken Knieschoner anziehen

CHRISTIAN STUCKI, 31 CHAUFFEUR AUS LYSS BE

Der Stucki Christian ist ein Monument. Seine Dimensionen wurden schon vielfach beschrieben, aber keiner sagt es so schön wie Harald Cropt, der immerhin auch 124 Kilogramm auf die Waage bringt: «Mit Chrigu im Ring ist wie Sohn mit Papi.» Das enthält alles: Nicht nur Stuckis imposante Erscheinung, sondern auch seine majestätische Gelassenheit. Eine Mischung aus Souveränität und Tiefenentspannung.

Würde er der neue Schwingerkönig, so wäre das gewissermassen ein natürlicher Vorgang. Aber keiner weiss besser als Stucki, wie viele Details zusammenpassen müssen. «Natürlich hätte ich unheimlich Freude», sagt er und lässt gleichzeitig durchblicken, dass er es verkraften wird, wenn es nicht gelingt. «Es geht ja nicht um eine goldene Kuh. Und sterben muss man sowieso.»

Mit seinem weissen Übergewand wirkt er im Keller der Berner Metzgerei Meinen noch grösser als draussen. Hier unten belädt er den 16-Tönner, mit dem er abgepacktes Fleisch ausliefert. Nach der Rekrutenschule verschlug es den gelernten Forstwart ins Transportgewerbe, weil er diesen 60-Prozent-Job besser mit dem Sport zusammenbringt. Seine Frau Cécile arbeitet ebenfalls 40 Prozent. Aber auch wenn er oft auf die beiden Kinder aufpasst und kocht, hält er den Titel Hausmann für zu hoch gegriffen. Noch heute begleitet ihn der Vater, früher selbst aktiver Schwinger, an jedes Schwingfest. Früher, als der Chrigu noch mehr Flausen im Kopf hatte, waren diese Fahrten mit dem sachverständigen Beifahrer manchmal anstrengend. Aber inzwischen ist auch das: locker.

STECKBRIEF

  • Gewicht 142 kg
  • Grösse 198 cm
  • Schuhnummer 51
  • Anzahl Kränze 109
  • Hobbys Fischen, Hornussen
  • Menü vor Wettkampf Nach Lust und Laune
  • Glücksbringer Keinen
  • Angst vor Nichts Abneigung gegen Spinnen und Krabbeltiere
  • Ritual Immer das Gleiche, aber das ist geheim

 

ARNOLD FORRER, 37 KÄSERMEISTER AUS STEIN SG

Der Forrer Arnold gehört mit seinen 37 Jahren im Sägemehl zum alten Eisen, aber nicht zum Alteisen. «Sauber entrostet», sagt auch er, selbst überrascht von seiner triumphalen Rückkehr nach der schweren Schulterverletzung. Drei von vier Sehnen waren gerissen. Dass diese Schulter wieder funktioniert, ist das eine. Dass sie im Mai dieses Jahres beim 137. Kranzgewinn standhielt, das andere. Forrer brach damit den Allzeitrekord des Freiburgers Hans-Peter Pellet. Der Käsermeister würde gerne auch noch einen 150. Kranz holen, aber das hängt von seiner Verfassung ab. «Ich bin im Bonus», sagt er, «ich muss nichts, ich kann.»

Das Wort «Vollgas» fällt zwei Sätze später. Forrer ist ein leutseliger Mensch, der das Herz auf der Zunge trägt. Seine Sprüche haben Unterhaltungswert. Aber auch wenn ihm etwas nicht passt, sagt er es so laut und deutlich, dass sich der Verband schon gewünscht haben dürfte, er möge endlich zurücktreten.

Doch der Toggenburger ist ein zäher Kerl, der verbissen kämpft, bis er am Ziel ist. Das wird auch in der blitzblanken Käserei Rüttiberg deutlich. Seit 2013 fertigt er hier seinen «Königs Chäs», mit dem er in Tirol an einem Wettbewerb eine Goldmedaille holte. Wenn er im Lager 2000 Tilsiter schmiert, hat er nach vier Stunden gegen vierzig Tonnen bewegt. Trotzdem gebe es nach einem harten Wettkampf nichts Besseres als das feuchtwarme Klima bei den Käsekesseln. Das Aufstehen sei zwar fürchterlich, aber bis am Mittag sei er regeneriert wie ein Fussballer im Wellnesstempel.

STECKBRIEF

  • Gewicht 115 kg
  • Grösse 194 cm
  • Schuhnummer 52
  • Anzahl Kränze 141
  • Hobbys Pokern, Jassen
  • Menü vor Wettkampf Spaghetti am Sonntagmorgen
  • Glücksbringer Keine mehr Früher: Siegerhosen
  • Angst vor Attentätern
  • Ritual Immer sofort unter die Leute gehen

 

WILLY GRABER, 32 DACHDECKER UND LANDWIRT AUS BOLLIGEN BE

Der Graber Willy ist ein stolzer, wilder Kerl, wie er mitten in Lützelflüh mit geschwellter Brust für den Fotografen auf dem Gerüst posiert, bewundert von den Nachbarsbuben, die schon vor Tagen gemerkt haben, wer da auf der Baustelle vis-à-vis schuftet. Als wären sie für ihn aufgezogen worden, flattern zwei frisch gebügelte Schweizer Fahnen im Wind.

Der Graber ist ein Publikumsliebling, das ist er schon, seit er als Schulabgänger mit nur 172 Zentimetern Körperlänge immer wieder Grössere und Schwerere auf den Rücken gelegt hat. Mit vier Brüdern auf einem abgelegenen Bauernhof unter dem Bantiger aufgewachsen, hat den Kleinklässler die Schule kein bisschen interessiert. Dafür hat er auf Heustöcken und im Wald die Anwendung des Hebelgesetzes gebüffelt, für die er heute im Bodenkampf von seinen Gegnern gefürchtet wird. Inzwischen ist er noch 9 Zentimeter gewachsen, aber für einen Schwinger gilt er immer noch als klein.

Die Fans lieben den unerschrockenen Berner mit dem verwegenen Blick. Seine Auftritte versprechen Spektakel. Jeden Tag trainiert der 32-jährige Bolliger zwei Stunden, obwohl er schon vier Tage in der Woche als gelernter Dachdecker Hand anlegt und als Nebenerwerbsbauer einen Hof bewirtschaftet.

Im Winter ist er mit Frau Christine und den beiden kleinen Töchtern ins über weite Strecken selbst umgebaute Bauernhaus eingezogen. Vor diesem Haus ist ihm als vierjähriger Wildfang der Land Rover des Vaters über den Kopf gerollt. Schädelbruch und bange Momente für die Eltern. Im Rückblick war es die Geburt eines zähen Kämpfers.

STECKBRIEF

  • Gewicht 97 kg
  • Grösse 181 cm
  • Schuhnummer 46,5
  • Anzahl Kränze 90
  • Hobbys Früher Velofahren, jetzt Familie
  • Menü vor Wettkampf Teigwaren, alles andere ist Beilage
  • Glücksbringer Keinen
  • Angst vor Nichts
  • Ritual Zieht sich nach Niederlagen zurück

JOEL WICKI, 19 BAUMASCHINENMECHANIKER AUS SÖRENBERG LU

Der Wicki Joel steckt in einem riesigen Caterpillar-Radlader, umschlingt mit Armen, so dick wie Oberschenkel, den Motorblock, das linke Bein ist in der Maschine verschwunden, und auf den ersten Blick sieht es aus, als wolle er auch dieses Monstrum mit seinem berüchtigten «Churz» ins Wanken bringen. Der Mann ist noch keine 20, aber mit seinem kantigen Schädel und dem wuchtigen Brustkasten wirkt er in der Halle mit den schweren Baumaschinen, als gehörte er zum Inventar. Dabei hat er erst seine Lehre als Mechaniker abgeschlossen.

Maschinen haben den Entlebucher, der im Südelmoos bei Sörenberg aufgewachsen ist, schon immer magisch angezogen. Sobald irgendwo ein Motor knatterte, war er zur Stelle.

An Energie hatte er nie einen Mangel. An Rückhalt auch nicht: Die Familie ist sein Hafen. «Ihr habe ich alles zu verdanken», sagt Wicki. Als ihn der ältere Bruder mit sechs Jahren zum ersten Mal in den Schwingkeller schleppte, geschah dies im Bestreben, ein Ventil für den kraftstrotzenden Kindergärtler zu finden. Jetzt sieht es nach grosser Karriere aus.

Wicki gewann schon als Junior 89 Nachwuchswettbewerbe, trat in Burgdorf mit 16 als Jüngster beim «Eidgenössischen» an und blieb über 8 Gänge dabei. Jetzt hat der risikofreudige Favoritenschreck Hunger auf mehr. Auch wenn er das wie ein Profi nur vorsichtig durchblicken lässt. Aber so wie der Wicki in der Halle nebenbei ein paar schwere Werkbänke aus dem Weg räumt, wird er früher oder später kaum mehr aufzuhalten sein.

STECKBRIEF

  • Gewicht 104 kg
  • Grösse 183 cm
  • Schuhnummer 46
  • Anzahl Kränze 19
  • Hobbys Fischen, Jagen, auf der Alp helfen
  • Menü vor Wettkampf Entrecôte und Teigwaren
  • Glücksbringer Die gleichen Kleider zum Schwingen
  • Angst vor Weiss nicht
  • Ritual Bei den Kampfrichtern etwas trinken

Erschienen am 11.8. in der Schweizer Familie

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